Dr. Annette Georgi, Münster

Ausstellung Julia Siegmund, „kein Fell“, Galerie Siedenhans & Simon, Gütersloh, 16. November 2019

Text aus „kunst:stück“ Ostwestfalen

Bereits zum dritten Mal präsentiert die Galerie Siedenhans und Simon Arbeiten der Künstlerin Julia Siegmund. Die charakteristische Handschrift der Künstlerin ist nach wie vor unverkennbar: Eine klar konturierte, häufig angeschnittene Gestalt korrespondiert mit einem Raum, der geheimnisvoll und mehrdeutig ist. Nicht selten verschwimmen Vorder- und Hintergrund miteinander. So ist nicht der kausale Zusammenhang der Bildelemente ihr Thema, vielmehr geht es um verschiedene Ebenen, deren Transparenz, Durchlässigkeit und – im doppelten Wortsinn – Tiefe. Das Motiv, mitunter auch ein Textfragment, fungiert als Ausgangspunkt und visueller Halt für das Eintauchen in eine Sphäre hinter den Worten. Haltungen und Gesten von Personen changieren aufgrund der reduzierten Darstellungsweise zwischen Ruhe und Einsamkeit, zwischen Zufriedenheit und Leere, Freude und Verzweiflung. Die Stimmungslage wird nicht von der Figur allein definiert, sondern durch deren Bezug zum sie umgebenden Raum, der von jedem Betrachter ganz individuell assoziiert wird. Doch wie bei einem Traum, den man nicht erzählen kann, weil nur noch eine Stimmung den wachen Kopf beherrscht, scheint das verbale Festhalten des Gesehenen den Zauber zu zerstören. Wir müssen uns darauf einlassen können, dass nicht jedes Rätsel gelöst werden, nicht jeder Zusammenhang verstanden werden kann. Julia Siegmunds Arbeiten erfüllen uns sanft und feinfühlig mit der beruhigenden Gewissheit, dass selbst in den scheinbar belanglosen Begebenheiten des Alltags etwas Wesentliches liegt, das uns trägt und begleitet.

 

 

Rolf Birkholz, „Neue Westfälische“

Werke eines Linienfreaks

Gütersloh. Laufende Farbe erzeugt Linien. Die können auch gezeichnet, gemalt, gekratzt, aus Tuben aufgelegt sein. „Ich bin ein Linienfreak“, sagt Julia Siegmund. Und neuerdings fliegen auch vermehrt Vögel in ihren Bildern, finden sich Federn statt wie früher Fell. „Kein Fell“ heißt die Ausstellung in der Galerie Siedenhans & Simon, Kökerstraße 13. (…) Die Linien in den Gemälden und druckgrafischen Arbeiten können Unterschiedliches anzeigen. Als Raster oder Gitterfeld werfen sie die Frage auf, worauf wir gehen. Auf festen, vorgezeichneten Bahnen, nach vorgegebenen Mustern? Wenn allein ein Unterkörper auf solchem Raster steht, scheint das einen Automatismus anzudeuten. Aber die verstärkt auftauchenden Menschen wirken sanft, ruhig, oft durchlässig.
Eine Figur, eine Radierung auf Leinwand, ist ausgeschnitten und mit einer Klebefolie direkt auf die Wand gebracht worden, wie ein Wandgemälde, ein Fresko.
Da und dort liegen Boote wie in „ufernah“, viele Vögel sind zu sehen. Sie laden zu Ausflügen aus möglicher Enge ein, ermuntern dazu, sich allzu linierten Vorgaben zu entziehen, zumindest kreativ damit umzugehen. Wenn auf einem Blatt der über 100 Exemplare umfassenden Monotypie-Serie „Gräben umspringen“ steht: „Schenk‘ mir keinen Vogel“, so meint das: Denn ich müsste ihn in einen Käfig sperren, ihm die Freiheit nehmen.
Julia Siegmund, die in Osnabrück und Wien Kunst und Germanistik studierte, in Nordhorn lebt und zum dritten Mal bei Siedenhans & Simon ausstellt, lässt sich auch durch literarische Texte inspirieren, besonders aus Werken von H.C. Artmann („Aus meiner Botanisiertrommel“) oder auch Peter Handke („Über die Dörfer“). In dem Querformat „flughöhe“ etwa verwendet sie einen ganz bestimmten Text, lässt ihn freilich unlesbar, nutzt ihn nur malerisch. Hier wird die Künstlerin in ihrer Arbeit gleichsam selbst ein lebendes Bild ihrer (Raster-) Bilder, indem sie sich zu einem vorgeprägten Muster spielerisch und gestalterisch verhält.

16.11.2019