Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Frau Piepenbrock!
Als die Einladung zu dieser Feier kam, hatte ich spontan den Wunsch, mich bei Ihnen, liebe Frau Piepenbrock, persönlich zu bedanken und Ihnen zu erzählen, wie das Leben mit dem Piepenbrock-Preis die letzten Jahre für mich gewesen ist. Ansonsten halten Künstler ja gerne den Mund und lassen ihre Arbeiten oder Experten darüber sprechen.
Aber es ist mir ein Anliegen, Ihnen jetzt, nach so vielen Jahren, noch einmal zu danken – als ehemalige Studierende.
Denn wir Studierenden sind es ja eigentlich, denen die unmittelbare Förderung durch diesen Preis zugute gekommen ist.
VOR 19 Jahren – und im zarten Alter VON 19 Jahren – begegnete ich Maria-Theresia Piepenbrock zum ersten Mal.
Nicht, dass Sie denken, ich hätte gewagt, mit ihr ein Wort zu wechseln, nein, von ferne sah ich sie, eine elegante Dame in Begleitung mehrerer schwarz gekleideter Personen – der Jury – unser Fachbereichsgebäude betreten.
Sie müssen sich vorstellen, dass das ein denkwürdiger Moment des, ja fast Schreckens war: Hier erschien mit Frau Piepenbrock sozusagen der Grund, der Höhepunkt, die Vollendung tagelangen, oft wochenlangen Tuns und schrecklicher Aufregung:
Studenten waren zur Eile ermahnt, Arbeiten gesichtet, Wände neu gestrichen, Sockel gebaut, Fußböden waren erneuert, Ateliers komplett ausgeräumt und auf den Kopf gestellt worden.
Es war, wie man sagen würde, ein Wahnsinns-Hype, der da jeden Herbst stattfand.
Und erst das vorangegangene Auswahlverfahren: Wer wurde für diesen Preis von unseren geschätzten Professoren überhaupt vorgeschlagen? Wer durfte mitmachen? Sie können sich vorstellen, dass, wenn in einem Atelier sechs oder mehr Studenten arbeiten, und nur einer davon diesen Raum schließlich zur Verfügung hat, um seine Arbeiten zu präsentieren, es nicht unbedingt immer leicht gewesen ist…
Welche Arbeiten genügten den kritischen Blicken der Professoren?
Ist das Kunst oder kann das weg?
Hieß es wieder, naja, besuchen Sie lieber noch mal ein Semester die Grundlehre und versuchen Sie´s mal im nächsten Jahr wieder – oder durfte man mitmachen, wurde nominiert?
Wir mussten uns also auseinandersetzen damit, dass vielleicht mühevoll erstellte Arbeiten verworfen wurden, andere Studenten zum Zuge kamen, vielleicht sogar zum wiederholten Male vorgeschlagen und prämiert wurden, warum? Warum diese Arbeiten? Warum meine vielleicht nicht? Ich hatte mir doch solche Mühe gegeben!
Das machte etwas mit uns – und zwar jedes Jahr in höchst konzentrierter Form, anders als eine semesterbegleitende Arbeit das getan hätte:
Bei diesem ganzen Auswahlverfahren und der Vorbereitung auf die Präsentation wurde unser Blick geschärft für das Besondere, das Herausragende, kurz gesagt, für die gelungene Gestaltung.
Welches Passepartout zu welcher Grafik? Passt der Rahmen? Ist die Szene eindrucksvoll oder kann sie weiter ausgereizt werden? Wie und wo platziere ich meine Arbeit? Welche Beleuchtung?
Da ging es manchmal um halbe Zentimeter und die Nuance eines Weiß.
Aber grade diese Auseinandersetzung um die Bedeutung eines halben Zentimeters und der Nuance eines Weiß hat uns als Studierenden im wahrsten Sinne des Wortes die Augen geöffnet.
Und diese Auseinandersetzung fand nicht nur statt bei den schließlich mit diesem Preis bedachten Studierenden, sondern bei allen und jedes Jahr wieder.
Es war sozusagen die Steigerung dessen, was der Lehrplan im Grunde auch vorsah, höchst konzentriert und damit fast unausweichlich:
Wir erwarben dadurch eine Sensibilität im Sehen der gelungenen Gestaltung einer Idee.
Und dann verließen wir die Uni, begannen eine berufliche Tätigkeit. Bei dieser Entscheidung, die eigene Arbeit im freien Markt auszuprobieren oder auch mit Kindern oder Erwachsenen zu arbeiten, war immer wieder genau diese Auseinandersetzung maßgebend.
Diesen Preis zu erhalten, liebe Frau Piepenbrock, hat mich damals natürlich mit Stolz und Freude erfüllt.
Und ich meine nun nicht nur den Förderbetrag, der ein sehr gern gesehenes Geschenk für uns in dieser Lebensphase bedeutete, wo das Geld knapp war und man nebenbei jobben musste, um mal wieder – die romantische Version – die teure Leinwand zu kaufen oder die hochpigmentierten Farben (wir sind vielleicht auch einfach davon in den Urlaub gefahren…), dieses Geld war irgendwann aufgebraucht.
Sondern ich meine diesen Preis in dem, was er ist: Eine Anerkennung.
Der Preis war eine Motivation, das Bemühen um die gelungene Gestaltung nicht aufzugeben, vielleicht sogar eine freie berufliche Tätigkeit daraus zu machen. Er stärkte den Rücken bei allem, was man in Angriff nahm: Dort hat jemand meine Arbeit gewürdigt und ein Potenzial in mir gesehen.
Der Klang dieses Preises war eine Referenz bei folgenden Bewerbungen, bei Ausschreibungen für Ausstellungen und in der Zusammenarbeit mit Galerien und eigentlich bei jeder Art von Öffentlichkeit.
Die Arbeit wurde ernst genommen, wert geschätzt und war nicht nur eine schöne Freizeitbeschäftigung.
Diese Anerkennung behalten wir ein Leben lang.
Ich danke Ihnen, liebe Frau Piepenbrock, dass Sie durch die Stiftung dieses Preises die Qualität gestalterischen Tuns und den Blick für die gelungene Gestaltung über Jahre gefördert haben.
Ich danke auch den Lehrenden für die solide Ausbildung in allen Techniken und die Förderung durch die Nominierung und die stetige Korrektur unseres Blickes.
Das ist im wahrsten Sinne „Bildung“ – nicht messbar, aber vorhanden als Sensibilität im Sehen unserer Welt. Und diese Sensibilität – ein halber Zentimeter, die Nuance eines Weiß – zu fördern, ja eigentlich zusammen mit den Lehrenden erst zu konstituieren, ist, wie ich finde, in Zeiten von Effizienzdenken und Wirtschaftlichkeitsrechnungen eine gesellschaftliche Notwendigkeit, die man gar nicht hoch genug schätzen kann.
Danke dafür, liebe Lehrenden und liebe Frau Piepenbrock. Den Piepenbrock-Preis erhalten zu haben, ist für mich Ansporn, diese Sensibilität weiter zu tragen und immer wieder die Balance zu halten:
Es gilt nach wie vor die Frage zu stellen: Würde mich heute noch jemand für diesen Preis vorschlagen? Habe ich mein Potenzial genutzt?
Deshalb ist der Preis immer wieder auch Mahnung und Korrektiv:
Mir also immer wieder vorzustellen, die elegant gekleidete Dame von damals würde von Neuem mein Atelier betreten und einen Blick auf meine Arbeiten werfen.
Danke dafür, liebe Frau Piepenbrock,
und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.
Julia Siegmund
Rede zur „Hommage für Maria-Theresia Piepenbrock“ am 09.08.2013
im Schloss Osnabrück
Fotos: Pressestelle Universität Osnabrück 2013