25.04.2016

Katinka Fischer,
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fremder
vertrauter
Raum

Kein Ort, sondern ein Gefühl. In einer Schau des Künstlervereins Walkmühle Wiesbaden beschäftigen sich 28 Künstler mit dem Thema „Heimat – Identifikation im Wandel“

Heimat ist keine Frage von Quadratmetern. Heimat ist auch geistig, kulturell und emotional vertrauter Raum. Selten aber war der Begriff unsicherer als heute, da vielen Menschen in ihrer Heimat der Tod droht. Was Heimat tatsächlich bedeutet, ist deswegen auch eine hochpolitische Angelegenheit. Darauf reagiert von Freitag, den 13. Mai, bis einschließlich Sonntag, den 26. Juni, die mittlerweile 22. Schwerpunktschau des Wiesbadener Künstlervereins. Grade Künstler, die bisweilen schon von Berufs wegen die ganze Welt zu ihrer Heimat machen, sind prädestiniert, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Entsprechend international lesen sich die Biographien der 28 Teilnehmer an der Ausstellung im Künstlerverein Walkmühle. Ihre Arbeiten versprechen ein sinnlicheres Erlebnis, als es der etwas spröde Titel Walkmühle „Heimat – Identifikation im Wandel“ erwarten lässt.

Die idyllisch am Wiesbadener Innenstadtrand gelegene, gut 270 Jahre alte Walkmühle ist längst zur Heimat des Künstlervereins geworden, der sich 2005 mit dem Ziel formiert hat, das seinerzeit schwer verwahrloste Anwesen zu einem Atelierhaus auszubauen und als Kunstzentrum zu etablieren. Diesem Zweck dienen nicht zuletzt die regelmäßig auch überregional wahrgenommenen Themenschauen, die aktuelle Entwicklungen im Kontext von existenziellen Fragen nach dem Menschen und seiner Beziehung zur Umwelt reflektieren. Pubertät, Körperkult, Verbrechen oder Reichtum gehörten in der Vergangenheit zu den Schlagworten. Ab 13. Mai belegen die vielfältigen, sämtlich in diesem Jahrhundert entstandenen, bisweilen sogar jüngsten Exponate der nächsten, von Christiane Erdmann und Stefanie Blumenbecker kuratierten Ausstellung, wie aktuell und facettenreich das Thema Heimat ist.

Zunächst einmal findet sich das Thema – ganz einfach –von der Haustür. Das zeigen die verfremdeten Ansichten des Rheingaus, der Taunushügel oder der Umgebung von Frankfurt, die Michael Mohr gemalt hat. Anderswo ist Heimat, wo die Jurte steht: Wer immer unterwegs ist, verzichtet damit meist auf materiellen Wohlstand, aber nicht unbedingt auf Heimatgefühl. Darauf macht Walerija Peters Installation aufmerksam, die auf die traditionellen Rundhäuser der kasachischen Nomaden anspielt. Dass man Heimat auch in der Sprache findet, führt ein Klangteppich schon vor Betreten des Ausstellungsgebäudes vor Ohren. Dafür hat der Wiesbadener Axel Schweppe Interview-Fragmente in elf Sprachen sowie indischen und afrikanischen Dialekten zusammenmontiert und auf diese Weise ein Sinnbild babylonischne Sprachgewirrs geschaffen.

Heimat ist aber auch soziale Zugehörigkeit. Diesen Gedanken setzt Anastasia Khoroshilova ins fotografische Bild, das die Traditionen und die Trachten eines buddhistischen geprägten Landstrichs am Kaspischen Meer in den Fokus rückt. Dass die in Polen geborene Malerin und Städelschülerin Justine Otto eher die volkstümelnden Abgründe des Heimatbegriffs beleuchtet, deuten schon Bildtitel wie „Gesangsverein Liederkranz“ an. In eine ähnliche Richtung weist Ulrich Schreibers Installation „Hochsitz“, die das Klischee der Spezies des Jägers hinterfragt.

Zahlreiche Künstler in der Ausstellung machen den Verlust von Heimat zum Thema, dem sie freilich ganz unterschiedlich Ausdruck verleihen. Die auf Trolleys gestapelten Stoffbündel der Koreanerin Kimsooja etwa lassen unweigerlich an die vielen Flüchtlinge denken, die mit nichts als ein paar Habseligkeiten über die Grenzen kommen. Noch konkreter äußert sich dazu die Afghanin Sara Nabil: Umgewidmet zum künstlerischen Exponat, wird das Bett, das sie in einem Wiesbadener Flüchtlingsheim regelrecht bewohnt hat, zu einem traurigen Mahnmal.
Karen Shalev wie auch Julia Siegmund machen das Schiff zur Metapher der Heimatlosigkeit. In der wie ein Wrack anmutenden Skulptur der 1982 geborenen Israelin ist das – rettende – Fortbewegungsmittel nur noch Erinnerung, während die ganz frische Wandinstallation „anderswo ist überall“ der Oldenburgerin (Jahrgang 1974) Menschen bei der Überfahrt ins Ungewisse zeigt. Marja Scholten-Reniers wiederum gibt dem Heimweh poetische Gestalt: Einschlägige Sprichwörter aus unterschiedlichen Ländern hat die Niederländerin auf Stofftaschentücher gestickt.

Das Bild der Entwurzelung bemüht Jean-Claude Ruggirellos Videoarbeit von einem blühenden, aber eben nicht mehr mit der Erde verwachsenen und insofern todgeweihten Baum. Heimat sollte man daher auch in politisch stabileren Gegenden nicht als etwas Selbstverständliches betrachten. Dazu ermahnen die schwarzweißen Computer-Collagen des aus Syrien geflohenen Tammam Azzam, auf denen sogar der Eiffelturm in Paris oder der Westmister-Palast in London ins Wanken geraten.
Ohnehin bedeutet Heimat noch lange nicht, dass man sich dort auch zu Hause fühlt. Das zeigen Klaus Bittners Fotografien von Wohnblöcken sowie die surreal futuristischen Entwürfe des österreichischen Architektur-Professors Peter Trummer. Sie reagieren damit auf die zunehmende Lebensfeindlichkeit der Städte.